In the Heights Kritik: Heiße Rhythmen und große Träume (2024)

Der Kinostart von "In the Heights" war bereits im Jahr 2020 geplant, doch die Covid-Pandemie machte diesem Vorhaben einen Strich durch die Rechnung. Der Fluch wurde zum Segen, denn knapp ein Jahr später, im Sommer 2021, wirkt "In the Heights" in vielerlei Hinsicht wie der perfekte Film, um den Sommer willkommen zu heißen und sich zeitgleich langsam von Corona zu verabschieden.

Hierzulande ist es jedoch deutlich schwerer, "In the Heights" zu verkaufen, das merkt man schon am Marketing. Die gleichnamige Musical-Vorlage schaffte es bisher nur als Schulaufführung nach Deutschland, weshalb der Filmtitel um ein (nicht sonderlich vielsagendes) "Rhythm of New York" erweitert wurde.

Regisseur Jon M. Chu, dem in den USA mit "Crazy Rich Asians" einen Sensationserfolg gelang, ist bei uns so unbekannt wie sein Film-Hit, bei dessen deutscher Veröffentlichung das "Asians" aus dem Titel entfernt wurde. Einzig Lin-Manuel Miranda, der derzeitige Star des New Yorker Broadway-Himmels, ist durch die weltweite Veröffentlichung von "Hamilton" auf Disney+ (und zahlreiche Auftritte in Late-Night-Shows) auch dem deutschen Publikum ein Begriff.

Somit dürfte es "In the Heights" an den deutschen Kinokassen schwer haben - zu Unrecht. Denn obwohl weder das Musical selbst noch die meisten Hauptdarsteller in Deutschland bekannt sind, spricht diese filmgewordene Liebeserklärung an Heimat, New York, Nachbarschaft, Zusammenhalt, Musik und den Sommer eine universelle Sprache, die man versteht, selbst wenn man noch nie in den USA war.

Usnavi lebt und arbeitet in Washington Heights, einem Viertel im Westen New Yorks, das vor allem von lateinamerikanischen Familien bewohnt wird. Dort hat jeder einen Sueñito, einen kleinen Traum, doch oft fehlt es an dem nötigen Geld, um diese Träume in Erfüllung gehen zu lassen.

Zumindest Usnavi ist kurz davor, seinen ewigen Plan in die Tat umzusetzen. In der Dominikanischen Republik will er die alte Strandbar seines Vaters wieder herrichten, wo er die schönste Zeit seines Lebens verbrachte, bevor er mit seiner Familie in die USA kam.

Doch der Abschied von seinen Freunden und Nachbarn fällt schwer. Vanessa, in die Usnavi schon seit Jahren heimlich verliebt ist, willigt ein, mit ihm Tanzen zu gehen und die ganze Nachbarschaft ist in heller Aufregung, denn einer von ihnen soll in der Lotterie 96.000 US-Dollar gewonnen haben.

Obwohl "In the Heights" eine Geschichte mit überwiegend sympathischen Charakteren erzählt, ist die Handlung hier eigentlich zweitrangig und oft episodisch. Viel eher lebt der Film von seiner Stimmung, der Musik und dem Flickenteppich aus Figuren, die sich gegenseitig unterstützen, während viele New Yorker gar nicht wissen, dass es Washington Heights überhaupt gibt.

"Hamilton"-Fans dürfen sich über einige Anspielungen auf ihr Lieblingsmusical freuen, zudem ist Lin-Manuel Miranda auch in der kleinen Rolle des Piragua-Verkäufers zu sehen. Die Hauptrolle des Usnavi gab er jedoch an Anthony Ramos ab, mit dem Miranda bereits in "Hamilton" auf der Bühne stand.

Gelegentlich erkennt man Mirandas Sprachtalent auch in "In the Heights" wieder, doch die Handlung wird hier, anders als in "Hamilton", nicht ausschließlich durch die Lieder vermittelt. Das erlaubt dem Publikum einige Verschnaufpausen, denn so muss man die schnellen Texte nicht unbedingt verstehen und kann sich auch von den Choreografien und visuellen Spielereien berieseln lassen.

Chu lässt seiner Kreativität in "In the Heights" nämlich freien Lauf. Während das Bühnenbild des Stückes sehr spartanisch daherkommt, nutzt die Verfilmung nun alle Freiheiten des Mediums und lässt riesige Stoffrollen über Häuser hängen, U-Bahn-Fahrpläne in der Luft erscheinen oder Figuren an den Wänden tanzen.

Das macht Spaß, doch die Konvertierung von Stück zu Film bringt auch Nachteile mit sich. So wurden gleich mehrere Lieder aus der Bühnenfassung geschnitten und auch die Handlung selbst wurde gestrafft. Das soll der Geschichte mehr Raum zum Atmen geben, sorgt aber letztendlich für einige Durchhänger, gerade in der zweiten Hälfte des Films.

Die sicherlich unausweichliche Filmadaption von "Hamilton" wird einen anderen Weg gehen, schließlich ist das Musical-Phänomen mittlerweile so beliebt, dass jede Kürzung für Fans ein Frevel wäre. "In the Heights" ist natürlich unbekannter und damit formbarer, doch selbst Zuschauer ohne Vorwissen bekommen so eine Version geboten, die an manchen Stellen unter den Kürzungen leidet.

Gerade in der ersten Stunde und am Ende reißt einen "In the Heights" aber einfach mit und entführt in eine sonnige und leicht idealisierte Welt mit ganz viel Herz. "West Side Story" erweckte einst den Eindruck, als würde New Yorks Westen von Latino-Gangs beherrscht werden. Dank Lin-Manuel Miranda kommt die Latinx-Community im Musical-Kosmos nun deutlich besser weg.